Mit NoFap ist in den letzten Jahren eine Bewegung entstanden, die die Nebenwirkungen von Pornos in den Fokus rückt: Pornografie kann Depressionen fördern oder zu sexuellen Funktionsstörungen wie Potenzproblemen und Orgasmusschwierigkeiten führen. Pornos können das Dopaminsystem unseres Gehirns durcheinanderbringen und uns abhängig machen – Pornosucht.

Als Online Community bietet NoFap einen Raum, in dem sich Menschen gegenseitig Rückhalt beim Entzug aus der Pornosucht geben. Entzug heißt: nicht mehr zu masturbieren. Die Idee ist, dass sich so die chemische Balance unseres Gehirns wieder normalisiert. Das Gehirn „rewired“ sich (verkabelt sich neu).

Wenn ich mich mit Männern meines Alters über Pornografie unterhalte, wird deutlich, dass die Gedanken von NoFap in unserem Bewusstsein angekommen sind. Die Bewegung ist bekannt – und sehr oft begegne ich einer fragenden Unsicherheit: Sind Pornos schlecht für mich? Bin ich süchtig? Sollte ich damit aufhören? Dabei schwingt ein intuitives Bauchgefühl mit: Irgendetwas stimmt doch an Pornos nicht…

Ich möchte heute an dieses Gefühl und an diese Unsicherheit anknüpfen. Indem ich euch einlade, einen Blick auf die Grenzen von NoFap zu werfen und einen Schritt weiter zu schauen.

Pornografie als Droge

Das noch vorweg: Ich bin nicht gegen Pornografie. Ich schätze sie sogar. Ich sehe Pornografie ähnlich wie Alkohol: der kann schmecken und uns tolle Momente schenken. Aber er ist auch unsagbar leicht zugänglich, kann zur Alltäglichkeit werden und schädlich für unseren Körper sein. Und im Härtefall kann er auch ganze Schicksale ruinieren. Wenn wir keinen gesunden Umgang damit finden.

Also, es gibt da für mich keine klare Trennung zwischen Gut und Böse.

Wenn wir das für uns selbst erkennen, dass uns Pornos nicht gut tun, dann ist Entzug jedenfalls ein möglicher Schritt. Und die NoFap Foren sind da voll von Erfolgsberichten. Menschen, für die sich der Alltagsschleier löst, den sie mit dem Pornokonsum assoziieren. Deren Erektionsschwierigkeiten wie von alleine verschwinden. Ein neues Selbstbewusstsein, eine neue Wahrnehmung der Welt.

Da passiert viel. Und ich finde das gut. Aufklärung und Entzug sind sehr wichtige Ansatzpunkte für ein suchtgesteuertes Nervensystem. Der Rückhalt der Community, die neurologischen Wirkungen des Entzugs, die Kraft der neuen Selbstbestimmtheit – da steckt viel positive Energie drin! In NoFap können sich sicher viele Menschen finden.

Über NoFap hinaus: Vom passiven zum aktiven Rewiring

Aber genauso gibt es Menschen, für die funktioniert NoFap nicht. Denen wachsen keine Superkräfte, sie leben weiter mit ihrem Schleier und der Pornosucht, werden ungewollt rückfällig, leben mit Frust und Scham oder sind von jetzt an einfach verunsichert, ob Pornos nun schlecht für sie sind oder nicht. Auf der taz gab es einst einen kritischen Artikel dazu, dort z.B. die Geschichte von Hendrik.

Für mich wird an dieser Geschichte etwas sehr deutlich. Nämlich, dass es innerhalb der NoFap Bewegung an Antworten fehlt auf die Frage: Wie können wir eine neue, gesunde Sexualität entwickeln? Wenn unsere Sexualität maßgeblich von Pornografie geformt wird, was kommt dann nach der Pornografie?

Da möchte ich mit meiner Kritik ansetzen. Bei NoFap sehe ich für das Danach in unserer Sexualität vor allem Leere.

Klar, es ändert sich schon etwas. Menschen auf NoFap berichten von gesteigerter Libido, zurückgekehrten Erektionen. Aber es bleibt da bei Verheißungen. Etwas, das von alleine kommt, ohne weitere Arbeit. Das klappt nicht für alle.

Zumal die Verheißungen trügerisch sind. Erregung, Erektionen, Orgasmen. Das ist sicher von großer Bedeutung für uns, funktional wie emotional. Aber das alles alleine macht eben noch keinen erfüllenden Sex.

Und auch: Wenn wir nicht gerade regelmäßige Sexualpartner*innen haben, wo und wie können wir unsere Sexualität nach dem Entzug überhaupt noch erleben? Der Entzug verbannt die eigene Sexualität erstmal aus dem Leben. Im NoFap Forum wird zu Sport oder Spaziergängen geraten. Und Sport ist toll – aber Sport ist eben kein Sex.

Unsere Sexualität ist ja ein wichtiger Teil von uns. Eine Quelle für Lust und Liebe, Vielfalt und Genuss, Intimität und Ästhetik. Und mit einem Pornoentzug sperren wir diesen Teil im schlimmsten Fall ganz aus. Was einen festen Raum in unserem Leben hat, verschwindet dann ersatzlos.

Also nochmal:

Was können wir tun, um eine neue, gesunde Sexualität zu entwickeln?

Um in den Worten der NoFap Bewegung zu bleiben: Rewiring. Doch ich spreche hier nicht von passivem Rewiring, das alleine auf der neurologischen Regeneration unseres Gehirns durch den Entzug basiert. Sondern von einem aktiven Rewiring, mit dem wir proaktiv neue Genussstrukturen in unserem Gehirn verkabeln. Und hier wird es spannend.

Ich würde da gerne über drei Aspekte schreiben: über unseren Körper, über Verbindung und über Emotionen. In all diesen drei Bereichen können wir dazulernen, können auf Entdeckungsreisen gehen und unsere Kapazitäten erweitern.

Unser Körper: Die Lust im Hier und Jetzt

Ich sehe hier den wichtigsten Schritt beim Entwickeln einer neuen Sexualität, weg von einer rein pornogetriebenen Lust: Unseren eigenen Körper spüren zu lernen. Im Hier und Jetzt zu sein. Genuss aus uns selbst schöpfen zu können.

Denn gerade das zerstört uns die Pornografie: unsere Aufmerksamkeit ist ganz auf den Bildschirm gerichtet – unsere Erregung kennen wir nur durch Input von außen – unser Genitalbereich fühlt sich an wie ein schwarzes Loch, Error, da sind keine bis wenige Empfindungen.

Das scheitert dann spätestens beim Sex mit einem*einer Partner*in. Denn da müssen wir uns in das Hier und Jetzt fallen lassen, da müssen unsere Körper Teil dieses süßen Geschlängels sein.

Die gute Nachricht ist, wir können das lernen. Es ist, als würden wir lernen, unseren Körper wie ein Musikinstrument zu spielen.

Wir können erfahren, wie sich unterschiedliche Berührungen anfühlen, fest und weich, ganzflächig und punktuell, an sämtlichen Stellen unseres Körpers. Wir können uns aktiv entspannen, können die Nervenbahnen zwischen unserem Gehirn und unseren Genitalien stärken und so immer feinfühliger werden. Und wir können mit unserem Körper in den Ausdruck gehen. Wir können lernen, unseren Atem, unser Stöhnen und unsere Bewegung einzusetzen und unsere Lust damit bis in die Ekstase zu steigern.

Und wenn wir uns hier mit einer ganzen Fülle an spannenden Zuständen vertraut gemacht haben, dann wird es uns leichter fallen, uns in unseren Genuss fallen zu lassen. Unsere Gedanken und Bilder loszulassen und ganz im Moment zu sein. Unsere Lust aus uns selbst heraus zu entfalten, ganz ohne Input von außen.

Da liegen gigantische Welten! So vielfältig und yummy und saftig. Für mich ist das die Richtung, in die NoFap gehen müsste, um zu einer sexpositiven Bewegung zu werden – eine Bewegung, die Sexualität nicht nur annimmt, sondern auch explizit bejaht und fördert.

In Verbindung gehen

Auch das geht uns beim Konsumieren von Pornos völlig abhanden: Kontakt mit anderen Menschen. Verbindung, Intimität, Öffnung. Das alles ist essenziell für eine erfüllende Sexualität. Sich verletzlich zeigen zu können und angenommen zu werden.

Beim Pornoschauen lernen wir das nicht. Denn da setzen wir uns in Beziehung zu bloßen Objekten am Bildschirm. Und wenn wir nicht das Glück haben, das andernorts in unserem Leben und unserer Sexualität zu lernen, dann lernen wir es gar nicht.

Und wenn es dann klappt mit dem Entzug von der Pornografie – selbst wenn wir die Checkliste Lust, Errektion, Orgasmus wieder zuverlässig abhaken können – dann sind wir damit noch immer nicht in der Lage, unsere Partner*innen als etwas anderes als Objekte wahrzunehmen.

Doch wir können Begegnung tatsächlich erlernen. Wir können lernen, anderen Menschen in die Augen zu sehen. Uns mitzuteilen, uns zu öffnen, uns zu zeigen. Unsere eigenen Grenzen kennenzulernen und die Grenzen anderer zu feiern. Konflikte zu durchleben und gemeinsam zu bewältigen. Verantwortung zu übernehmen.

Und dann kann da eine Nähe zwischen uns entstehen, die jeden Porno fade scheinen lässt.

Unsere Emotionen halten können

NoFap bietet keinen Rahmen für eine psychologische oder emotionale Außeinandersetzung mit einer Pornosucht. Es geht nicht um unsere Geschichte, es wird nicht kompliziert, nein, unser Entzug geht jetzt! los und wir rechnen einfach die Tage, die wir schaffen. Das hat seine Rechtfertigung und kann durchaus als eine Stärke der Bewegung gesehen werden.

Aber das kann auch zu kurz greifen. Weil in Pornos schließlich eine ganze Fülle an Emotionen stecken. Für viele von uns ist unser Pornokonsum ein Mittel, um z.B. Stress oder Traurigkeit zu regulieren. Wir belohnen uns mit Pornos, wie wir das mit Süßigkeiten tun.

Wir können uns hier ganz spannende Fragen stellen. Warum schauen wir Pornos? Was fällt weg in unserem Leben, wenn wir mit dem Pornoschauen aufhören? Finden wir dort z.B. eine bestimmte Form von Nähe, die in unserem Sexleben sonst ganz außen vor bleibt? Was genau erregt uns eigentlich an dieser wilden Szene? Was hat das mit unseren Bedürfnissen und Konflikten im Leben zu tun?

Und so gehört auch das für mich zu einer gesunden Sexualität: in eine Stärke mit unseren eigenen Emotionen zu finden. Das heißt, uns selbst kennenzulernen. Alleine sein zu können. Uns selbst in die Augen schauen zu können. Und uns für unsere eigenen Emotionen öffnen zu können – im Herzen, nicht bloß im Kopf!

Eine Reise zu uns selbst

Unsere Körper zu erforschen, die Verbindung zu anderen Menschen und unsere Emotionen – das alles hat viel mit Achtsamkeit und Bewusstseinsarbeit zu tun. Unsere Augen für uns selbst zu öffnen, für alle unsere Anteile.

Es gibt da also nicht weniger zu entdecken als uns selbst.

Und, zugegeben, der Weg dorthin ist schwer. Denn erstmal will unsere Lust eben nichts anderes als Porno. Aber wenn wir ihn liebevoll beschreiten – ein Wanderpfad, kein Kalender, den wir ungeduldig durchkreuzen – dann können wir das Abenteuer genießen und schon hier eine ganze Menge an Lust und Lebensfreude erleben.

Dann kann eine Transformation beginnen, hin zu einer gefühl- und lustvollen Sexualität in tiefer Verbindung mit uns selbst und unseren Partner*innen.

Und wir müssen diesen Weg nicht alleine gehen.

Es gibt in der sexpositiven Bewegung wundervolle Gruppen und Workshops die sich einem bewussten Erforschen der Sexualität widmen. Ich frage mich, wie das wäre, wenn diese Welten aufeinandertreffen: Wenn die NoFap Community nicht nur über ihre Erfolge und Misserfolge im harten Entzug von der Pornosucht schreibt, sondern sich auch über ihre Forschungsreisen beim Entdecken ihrer neuen Sexualität austauscht?

Und es gibt Körperarbeiter*innen wie mich, die ihre Klient*innen beim fokussierten Lernen und Erforschen unterstützen. Hast du Lust? Ich würde mich freuen, dich im Rahmen meiner Sexological Bodywork Sitzungen oder eines Masturbationscoachings auf deinem individuellen Weg zu begleiten.

Denn meine Erfahrung ist: Wenn wir diese neuen Räume öffnen und uns darin mehr und mehr zuhause fühlen… Dann verflüchtigt sich diese unkontrollierte Macht, die die Pornografie auf uns ausübt, ein gutes Stück weit von alleine.